„Krätzje“ - was bedeutet das eigentlich?

 

Eine allgemeinverbindliche Definition für das Wort „Krätzje“ abzugeben ist heute gar nicht einfach, denn die sehr unterschiedliche Verwendung des Wortes läßt kaum mehr einem zusammenhängenden Begriffsinhalt erkennen. Gesichert ist jedoch, dass der Begriff mindestens seit dem 19. und noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts Bestandteil der Kölner Umgangssprache war. In den beiden historischen Wörterbüchern, dem Wrede und dem Hönig findet man hierzu Erklärungen wie: „Erzählung eines Streiches, ein Schwank, eine Schnurre, ein heiteres Stücklein, lustiges Verzällche teils harmloser, teils derber Art.“ Ursprünglich bedeutete ‘Krätzje’ aber wörtlich: „Rißchen, Schrämmchen“, daraus abgeleitet dann: „Schlag, Streich, Stoß, Hau, Hieb“ in weiterer Entwicklung übertragen schließlich: „lustiger Streich, Ulk, Spaß, Witz“, aber auch „Bauchwind“.

 

Sprachgeschichtlich betrachtet war ‘Krätzje’ demnach zunächst ein Wort zur Beschreibung einer konkret ablaufenden Handlung. Ein Krätzje wurde ‘jeresse’ (‘e Krätzje reiße’ - einen Scherz treiben) oder ‘jejovve’ (‘e Krätzje jevve’ - einen Schlag austeilen) und ein ‘Krätzjesmächer’ war derjenige, der den Schabernack mit den anderen trieb. Aber auch wenn man von diesem Streich jemandem erzählte, nannte man diese Erzählung dann ‘Krätzje’. Damit wurde der Begriff aus dem Bereich des Erlebbaren ins rein Sprachliche verschoben. Das Krätzje wurde etwas, das man anderen erzählte und das heißt so viel wie: man trug es vor. Von da war es nur noch ein kleiner Schritt zu den Vorträgen, die wir heute als Büttenreden kennen und die im frühen 19. Jhd. mit Etablierung des offiziellen Karnevals entstanden sein dürften. So könnte es gewesen sein...

 

Historisches zum Thema Krätzjergesang

 

Wann genau die Idee entstand, einen Krätzjervortrag in Reimform zu bringen und schließlich nicht nur vorzutragen, sondern zu singen, kann man heute wohl kaum mehr genau bestimmen. Mit Sicherheit weisen aber bereits einige der Lieder, die aus dem 19. Jhd. überliefert sind, eindeutige Merkmale von Krätzjern auf. Eng mit dem Bänkelgesang verwandt, ist der gesungene Krätzjervortrag eine urtümliche Form des kölschen Liedguts, die in der schweren Zeit während der beiden Weltkriege dann zu neuer Blüte gelangte: Zum einen nötigte die steigende wirtschaftliche Not manchen Familienvater - trotz zuweilen geringem Vermögen als Instrumentalist - sich als Straßenmusikant zu versuchen, um wenigstens ‘e paar Grosche’ zu verdienen. Die instrumentale Begleitung der Lieder war meist schlicht, doch ihre Texte wurden in der Regel mehrstimmig vorgetragen und lieferten mit ihrer unverwechselbar lakonischen kölschen Philosophie ausreichenden Grund, mal zum Schmunzeln, mal zum Nachdenken.

 

Parallel dazu etablierte sich auf den Bühnen des Kölner Karnevals eine besondere Ausprägung des Krätzjervortrages, die in clownesker Weise komische szenische Elemente mit den ohnehin humorvollen kölschen Texten verband: In Form eines Duos mit komischen Gegensätzen (dick und dünn; groß und klein, u.ä.) brachten diese Krätzjersänger mit spärlicher instrumentaler Begleitung und zumeist in einfachsten Liedformen entweder kurze Episoden in Form einer Parodie auf Kinderlied oder Schlager oder aber auch längere Geschichten mit mehreren Strophen. Bis heute ist der Name des Duos Hoot & Höötche vielen ein Begriff geblieben. Auch das noch bis vor kurzen aktive Colonia Duett gehört in diese Tradition.

 

Nach dem 2. Weltkrieg verschwand diese Vortragsweise zunächst mehr und mehr von der Bühne, erlebte dann aber in den 1980er Jahren eine Art Renaissance: Die Bläck Fööss gaben hierzu die Initialzündung, indem sie Nummern wie den „Betriebsausflug“ oder die „Drei vun der Eierquell“ in ihr Repertoire aufnahmen und damit nicht nur das Publikum für eine fast vergangene Kölner Lied- und Vortragskultur wieder neu sensibilisierten, sondern gleichzeitig einer großen Zahl Kölner Künstler ein nachahmenswertes Beispiel lieferten.

 

Insofern ist das Krätzje eine Facette der Kulturgeschichte Kölns und kein ausschließlicher Bestandteil des Karnevals: Alle fünf kölschen Jahreszeiten hindurch dient es dem Ausdruck kölscher Lebens- und Denkungsart.